Godly Go
Bei meinen 40 Pilgertagen von Lausanne nach Assisi will ich mir die Godly-Play-Geschichten erwandern
„Du kommst mit“, sagte meine Frau zu einer Volk-Gottesfigur und steckte sie mit in ihren Rucksack. Wir packten damals gerade unsere Sachen für eine Pilgerwanderung von Florenz Richtung Rom. „Und wenn es was Schönes zu sehen gibt, dann kommst du mit aufs Foto.“ Wieder meinte sie nicht mich, sondern die Holzfigur. Ich warf ein: „Ich weiß nicht, ob uns nach Spielen ist, wenn vor lauter Wandern die Füße weh tun. Vielleicht ist das dann keine Godly-Play-Figur, sondern eine Godly-Go-Figur.“ Damit war das Motto unserer Reise gefunden, Godly Go.
Nun, etwa zwei Jahre später, knüpfe ich daran an und möchte Pilgern und Godly Play verbinden.
An Godly Play liebe ich den kreativen Umgang mit biblischen Geschichten, der mir oft ganz neue Denk- und Empfindungsräume öffnet und mich mal in die Weite, mal in die Tiefe führt. Und das ist auch mein Ziel beim Pilgern. Ich will mir die Weite der Landschaft erwandern und dabei meinem tiefsten Inneren ein Stück näher kommen.
Von Mitte August bis Ende September will ich das nun mit Godly Go versuchen. Ich will zunächst der Via Fancigena folgen, dem alten Rom-Pilgerweg, der quer durch Europa von Canterbury bis nach Rom führt. Auf manchen dieser Etappen pilgerte auch Martin Luther, als er 1511 nach Rom wanderte. Ich nehme mir die Alpenüberquerung vor, von Lausanne bis Aosta. Doch nicht das große Rom, das sich oft für den Nabel der Welt gehalten hat, ist mein Ziel, sondern ich mag Nebenwege und biege daher auf den Franziskusweg Richtung Assisi ab. Wenn die Füße mich tragen, werden es dann gut 1000 km sein. Und ich will alleine gehen, denn ich glaube, dass ich nun – im Alter von 50 Jahren – gefestigt genug bin, um es mit mir selber auszuhalten.
Und wie tritt nun Godly Play dazu? Es gibt eine christliche Art des Meditierens, indem man sich ganz in einen biblischen Text hineindenkt, ihn halbe Stunden lang meditiert, ohne Hilfsmittel und Sekundärliteratur. Auf diese Weise möchte ich jeden Tag mit einer anderen Godly Play Geschichte schwanger gehen. Ich werde morgens die Erzählvorlage lesen, vielleicht auch die biblische Grundlage dazu nehmen. Und beim Wandern versuche ich dann den Punkt in der Erzählung zu finden, der mich besonders irritiert oder besonders anspricht. Man könnte es vielleicht – anknüpfend an einen Theologen des 20. Jahrhunderts – das Existential nennen, nach dem ich in der Geschichte suche, also die grundlegenden Spannungen des Menschseins zwischen Gott, Gemeinschaft und Sinnlosigkeit, zwischen Gestalten, Empfangen und Vergehen. Für mich behandelt jede Godly Play Geschichte eine solche menschliche Existenzfrage. Ich glaube aber, dass ich diese Fragen anders behandle, wenn ich auf dem Pilgerweg bin, wenn ich mich ganz in die Hand der Schöpfung gebe, wenn ich mich täglich mit ganz basalen Problemen auseinandersetzte: Wo finde ich Wasser, wo finde ich Brot, wo finde ich Schutz vor Sonne und Regen, wo finde ich das nächste Wegzeichen, wo finde ich eine Bleibe, wie halte ich das Alleinsein aus, wie entkomme ich den Mücken und klebt das Pflaster noch auf der Blase…
Ich bin gespannt, ob mein Denken und meine innere Haltung sich durch den Weg verändern. Davon möchte ich Euch brühwarm erzählen, indem ich ein Video-Tagebuch führe. Alle zwei Tage lade ich dann ein Kurz-Video auf meinen YouTube-Kanal hoch [https://www.youtube.com/channel/UCHdH1-Yb3FdxE_Y1gFA68NA/videos] – bestimmt immer die Landschaft im Bild, durch die ich gerade wandere. Und im Vordergrund vielleicht eine kleine Figur, denn nun sage ich auch zu dem Stückchen Holz: Du kommst mit!
Mathias Kaiser, Dorfkirchengemeinde Berlin-Gatow und Kreisjugendpfarrer von Spandau